30 Jahre Väteraufbruch für Kinder Berlin-Brandenburg e.V. - geeintes Land, getrennte Herzen.

 

Liebe Mitglieder und Freunde des VAfK Berlin-Brandenburg e.V.,

es war am 17. Juni 1991, als sich mehrere Männer in Berlin versammelten. Sie gedachten nicht des Arbeiteraufstands, genossen auch nicht den Feiertag. Nein, ihr Treffen hatte einen anderen Grund: sie wollten Vater sein und es nach einer Trennung auch bleiben. Sie wollten für ihre Kinder da sein, sie aufwachsen sehen, sie unterstütze.

Diese von ihren Kindern getrenntlebenden Väter gründeten den Väteraufbruch für Kinder Berlin-Brandenburg e.V.. Die Mauer zwischen den beiden deutschen Staaten war gefallen, die Wiedervereinigung gerade formal vollzogen. Der Wunsch, auch nach einer Trennung weiterhin für seine Kinder da zu sein, kannte aber kein Ost und West. Er einte ebenso wie der Wunsch, auch in der Rolle als Vater akzeptiert und anerkannt zu werden.

Man(n) gab sich Rat, tauschte sich aus, unterstützte sich. Der neu gewonnene Status der Hauptstadt brachte auch die Möglichkeit, auf politischer Ebene darauf aufmerksam zu machen, dass Familie nicht nur aus Mutter und Kind bestand. Demonstrationen und Aktionen begleiteten die Entwicklung des Landesvereins Berlin-Brandenburg. Auch die Presse wurde immer wieder auf diesen kleinen Verein aufmerksam. Das Thema bewegte und war auch kontrovers. Väter in der Familie? Die unbekannten Wesen? Es war ein Lern- und Bewusstseinsprozess, der sich entwickelte und auch heute noch entwickelt.

Verwurzelt im Herzen Berlins vernetzten sich immer mehr Väter. Gesprächsrunden, Stammtische, gemeinsame Freizeitaktivitäten entstanden, mal mehr, mal weniger intensiv, immer ehrenamtlich in der Freizeit. Eine Freizeit, die viel zu häufig ohne die Kinder verbracht und dann für das gemeinsame Anliegen genutzt wurde.

Mit dem Vereinsmotto „ Allen Kindern beide Eltern “ wurde Anfang der 2000er dann noch deutlicher, dass es die Kinder sind, die im Fokus stehen. Zaghaft näherten sich auch einige Mütter dem Verein an , hatten sie doch ähnliches Erfahren wie die Väter – auch bei den Frauen gibt es das. Auch sie wollten Mütter für ihre Kinder bleiben, was ihnen verwehrt wurde.

Zunächst bestand die Sorge: passen Mütter und Väter zusammen? Ist es nicht gerade der Geschlechterkampf, der sonst so intensiv geführt wird? Erneut wurden Mauern eingerissen, diesmal Mauern zwischen den Geschlechtern. Es passte zusammen, war für beide eine wertvolle Bereicherung und Erweiterung des eigenen Blickfeldes. Nicht das Geschlecht trennte, sondern das Thema einte sie .

Anfang der 2010erJahre - eine schwierige Zeit. Einige Aktive verließen den Verein und es stellte sich die Frage: Wie geht es weiter? Der Bedarf an Unterstützung war unverändert, wenn nicht gar größer denn je. Der Landesverein Berlin-Brandenburg war mittlerweile von einer kleinen Gruppe auf rund 250 Mitglieder angewachsen. „Wiederaufbauhilfe“ erhielten die Aktiven vor Ort vom Hamburger Hartmut Haas aus dem Bundesvorstand des Vereins, der tatkräftig beim Wiederaufbau der Selbsthilfe- und Beratung unterstützte.

Das Selbsthilfe- und Beratungsangebot wuchs kontinuierlich, eine Unterhaltsgruppe kam hinzu. Seit 2016 waren wir dann auch regelmäßig bei den Weltkindertagsfesten am Potsdamer Platz dabei – mittendrin bei den Familien, den Kindern, hautnah am Thema.

Natürlich meldeten wir uns auch immer wieder mal zu Wort, wenn Politiker oder andere zu unseren Themen Nachholbedarf hatten oder danebengriffen. So beispielsweise Heinz Buschkowski, ehemaliger streitbarer Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, der pauschal und abwertend von den asozialen „ Verschwindibus-Vätern“ in der Bild-Zeitung schrieb.

Nicht alle in einen Topf stecken, auch mal schauen, weshalb der eine oder andere nicht zahlen kann (es ging ums Thema Unterhalt, dessen Bedeutung leider noch immer weit höher angesehen wird, als der persönliche Kontakt zwischen Eltern und Kindern) und sich als Politiker auch mal selbst an die Nase fassen, da viele der sogenannten Alleinerziehenden durch bestehende Gesetze quasi „produziert“ wurden und werden. Wir luden ihn ein, doch mal bei uns vorbeizuschauen und sich ein eigenes Bild auch von den „anderen“ Vätern zu machen. Angenommen hat er die Einladung nicht, wie auch insgesamt wenig politisches Interesse zu bestehen scheint, an liebgewonnenen, aber trotzdem falschen Vorurteilen etwas zu verändern. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller reihte sich erst kürzlich in diese traurige Tradition ein.

Mehr Interesse an und Bereitschaft zur Veränderung zeigten hingegen die mit getrennten Eltern arbeitenden Fachkräfte.

Anfangs gab es und teilweise gibt es noch immer schreckhafte, fast panische Reaktionen, wenn man sich auf einer Veranstaltung vorstellt als aktiver Vater oder (noch besser) Aktiver des „Väteraufbruch für Kinder“. Für einige scheinen aktive Väter noch immer unverständliche Vorstellungen hervorzurufen, Vorurteile auf den Plan zu bringen und Abwehrreaktionen auszulösen. Ein Effekt, den wir immer wieder erleben, der uns aber traurig, manchmal auch wütend macht, sind doch Väter ein ebenso wichtiger Bestandteil der Familie, wie es die Mütter auch sind. Die aktuelle Forschung in Psychologie, Medizin und Sozialwissenschaften zeigt es längst.

Dieses Bewusstsein setzt sich nach und nach, leider noch immer viel zu langsam, auch bei den Fachkräften durch, denen wir bei Begleitungen zu Ämtern und Gesprächen oder aber auf Veranstaltungen begegnen. Der gemeinsame Austausch baut Hürden und Vorurteile ab. Er schafft gegenseitiges Verständnis . Er hilft, bessere Lösungen zu finden, abseits jeglicher Geschlechterdiskussion. So sind häufig wir es, die in Gesprächen den Blick immer wieder auch auf die Bedürfnisse der Kinder richten, wenn der Fokus bei den Fachkräften noch immer auf den Eltern liegt. Dass wir unser „Handwerk“ beherrschen und insbesondere in sehr schwierigen Konstellationen viel Erfahrung haben, zeigt sich auch daran, dass wir regelmäßig von Ämtern und Beratungsstellen in ganz Berlin und Brandenburg empfohlen werden. Manchmal werden wir in solchen Fällen sogar aktiv als Unterstützung angefordert.

Guten Zulauf hatten auch immer unsere Fachveranstaltungen . Richter, Anwälte, Gutachter, Jugendamtsmitarbeiter, Verfahrensbeistände, Psychologen und Therapeuten sowie Vertreter aus der Wissenschaft sind und waren regelmäßige Gäste unserer Veranstaltungen.

So kommt es durchaus mal dazu, dass zu einer Veranstaltung in der Berliner Urania mit nur 4 Wochen Vorlauf über 140 Teilnehmer zusammenkommen und angeregt unter fachkundiger Unterstützung über das Thema diskutieren. Wir haben nicht nur dort bewiesen, dass wir auch bei kontroversen Themen die Sichtweisen und Bedürfnisse der verschiedenen Gruppen berücksichtigen und zu Wort kommen lassen. Selbst der Berliner Landesverband des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter beteiligte sich gemeinsam mit Väterzentrum Berlin, Anwalt, Jugendamt und Familienrichter an solchen Diskussionsrunden. Wir zeigen hier regelmäßig:

Reden schafft Verständnis. Reden schafft Vertrauen. Reden verbindet und eint, wenn der Wille dazu vorhanden ist

Beim Rückblick auf 30 Jahre Väteraufbruch für Kinder Landesverein Berlin-Brandenburg e.V. (so die heute offizielle Bezeichnung) darf bei aller Freude aber nicht übersehen werden, dass es auch Schattenseiten gibt. In drei Jahrzehnten haben wir viele Eltern erlebt, denen auch wir nicht helfen konnten, die den Kontakt zu ihren Kindern verloren haben:

  •     Eltern, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen
  •     Eltern, die von ihren Kindern ehemals geliebt wurden
  •     Eltern, die an diesem Verlust zerbrochen sind, verbittert wurden oder den Glauben an den Rechtsstaat verloren haben
  •     Väter, die den Kontakt zu ihren Kindern nur aufgrund ihres Geschlechtes verloren haben

Wir können deren Schmerz, deren Leid und Verzweiflung nur allzu gut mitfühlen, haben es teilweise auch selbst erlebt. Wie intensiv wir auch helfen und unterstützen, positiv lösen können wir allein solche Fälle nicht. Dazu braucht es insbesondere Jugendamt und Familiengericht, die aktiv werden, Kinder schützen und ihnen beide Eltern erhalten.

Wir sind in Gedanken bei all diesen Eltern und ihren Kindern . Was sie erlebt haben, sollte keinem Menschen widerfahren. Wenn sich Eltern und Kinder teils nach Jahrzehnten wiederfindenm, sind sich beide Seiten meist fremd, teilweise traumatisiert. Es fehlt ihnen gemeinsame Zeit - Zeit, die niemand wiederbringen kann. Zeit, die eine glückliche Kindheit hätte sein können, was meist daran scheiterte, dass der andere Elternteil dies verhindern wollte und niemand eingeschritten ist.

So ist, genau genommen, das 30-jährige Jubiläum des Väteraufbruch für Kinder Berlin-Brandenburg e.V. auch ein trauriges: Nach 30 Jahren Arbeit braucht es uns immer noch, und scheinbar mehr denn je. Die Zahl der von uns betreuten Fälle nimmt zu, ihre Komplexität wächst und unsere Mitgliederzahl steigt. Über 350 Frauen und Männer, Mütter und Väter zählt der Verein, jährlich wenden sich mehrere hundert hilfesuchende Eltern an uns. Weit überwiegend sind es noch immer Väter, rund 15% sind Mütter, die ebenso engagierte Hilfe erhalten wie jeder andere bei uns. Neben zwei Selbsthilfe- und Beratungsgruppen und der Unterhaltsgruppe bieten wir mittlerweile auch eine eigene Gruppe für entfremdete Eltern im Monat an. Dabei konnte uns auch Corona nicht stoppen – wir sind durchgehend für hilfesuchende Eltern da, über die vorgenannten Gruppenangebote mit hohem persönlichen, ehrenamtlichen Einsatz hinaus auch in zahllosen Gesprächen, Telefonaten und Treffen.

Wenn wir einen Wunsch frei hätten , dann den, dass es uns bald nicht mehr braucht. Da dies aber absehbar nicht der Fall sein wird, hoffen wir, dass wir zukünftig stärker unterstützt werden, auch von öffentlicher Seite, denn unsere Arbeit hilft, viel Leid und weitere Eskalation zu verhindern, wovon Jugendämter und Familiengerichte direkt durch weniger oder weniger schwere Fälle profitieren.

Ein besonderer Dank gebührt daher denjenigen, die die letzten 30 Jahre in unterschiedlichen Konstellationen ehrenamtlich und mit enormen zeitlichen Aufwand das möglichgemacht haben, was den Verein ausmacht. Hilfe zur Selbsthilfe, ein miteinander, eine Gemeinschaft. Nur mit eurem Engagement konnte und kann geholfen werden. DANKE!

Entstanden sind aus dieser Gemeinschaft, die sich durch ein sehr schwieriges, belastendes Thema zusammengefunden hat, aber auch positive Dinge, Lichtblicke. Sei es das unbeschwerte Gespräch beim Familienfrühstück, „kreative“ Ergebnisse beim gemeinsamen Plätzchenbacken mit den Kindern oder aber auch die Gespräche bei den Stammtischen, die sich auch um ganz „normale“ Themen drehen konnten. So entstanden Freundschaften und Beziehungen, die manchmal auch über die Vereinszeit hinaus Bestand hatten. Denn eines geben wir allen, die zu uns kommen immer mit: ihr dürft das Lachen bei aller Trauer und allem Schmerz nicht verlernen, die Freude am Leben. Und dies versuchen wir auch entsprechend vorzuleben.

So ist der VAfK Berlin-Brandenburg nach 30 Jahren ein Schmelztiegel der Gesellschaft, ein Ort echter Einheit , frei von Grenzen. Bei uns gibt der Busfahrer dem Hochschulprofessor einen Ratschlag, die Mutter dem Vater, der Jude dem Moslem, der Linke dem Rechten, der Hartz IV-Empfänger dem Millionär usw..

Alle sind vereint im Thema, alle sind orientiert an dem, was sie verbindet: Eltern für ihre Kinder sein zu wollen. Grenzen, egal ob politisch, ideologisch, religiös, national oder geschlechtsbezogen verschwimmen, lösen sich auf. Uns ist allen gemeinsam, dass wir unsere Kinder im Herzen tragen. Dort ist kein Platz für Wut, Abneigung, Hass und Aggression. Vielleicht mag es pathetisch klingen, aber wer Verständigung über alle Grenzen hinaus erleben will, kann sie bei uns erleben.

Auch wenn wir „getrennte“ Eltern sind, zeigen wir, wie ein Einen und Vereinen funktionieren kann.„ Allen Kindern beide Eltern “ ist und bleibt unser Motto, und wir laden alle ein mitzumachen, denn in der Gemeinschaft sind wir stärker als allein.

Gemeinsam – für unsere Kinder.

Euer
Väteraufbruch für Kinder Berlin-Brandenburg e.V.