Auswertung des BMJ-Forschungsprojekts „Gemeinsames Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern“

Das Bundesverfassungsgericht hatte mit seiner Entscheidung vom 29. Januar 2003 zur gemeinsamen elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern dem Gesetzgeber auferlegt, die Entwicklung der gemeinsamen Sorgeerklärungen zu beobachten. Der Gesetzgeber sollte damit seine Annahmen überprüfen, die der Kindschaftsrechtsreform von 1998 zu Grunde lagen: Verweigert eine Mutter „... sich nur ausnahmsweise und nur dann dem Wunsch des Vaters nach einer gemeinsamen Sorge …, wenn sie dafür schwerwiegende Gründe hat, die von der Wahrung des Kindeswohls getragen werden ...“ ?

Das Bundesverfassungsgericht hatte mit seiner Entscheidung vom 29. Januar 2003 zur gemeinsamen elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern dem Gesetzgeber auferlegt, die Entwicklung der gemeinsamen Sorgeerklärungen zu beobachten. Der Gesetzgeber sollte damit seine Annahmen überprüfen, die der Kindschaftsrechtsreform von 1998 zu Grunde lagen: Verweigert eine Mutter „... sich nur ausnahmsweise und nur dann dem Wunsch des Vaters nach einer gemeinsamen Sorge …, wenn sie dafür schwerwiegende Gründe hat, die von der Wahrung des Kindeswohls getragen werden ...“ ?

Drei Jahre nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts führte das Bundesministerium der Justiz (BMJ) eine Kurzbefragung bei Jugendämtern und Rechtsanwälten durch, die jedoch keine gesicherten Erkenntnisse brachte. Daraufhin wurde im Jahr 2009 ein Forschungsauftrag an das Deutsche Jugendinstitut e.V. (DJI) und die Ludwig-Maximilians Universität, München (LMU) vergeben, die bei Ihren Untersuchungen mit dem Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJUF) kooperierten. Der Abschlussbericht dieses Forschungsvorhabens wurde zu Beginn dieses Jahres den Bundestagsabgeordneten zugesandt und kann beim BMJ angefordert werden. Von einer Veröffentlichung unter seinem Namen nahm das BMJ offenbar aus guten Gründen  Abstand (siehe unten).

In ihrer Zusammenfassung verwerfen die Wissenschaftlerinnen – das Team bestand aus 9 Frauen und einem Mann -  die obige Hypothese des Gesetzgebers. In der Mehrzahl der Fälle, in denen es nicht zu einer gemeinsamen Sorgeerklärung der nicht miteinander verheirateten Eltern kommt, sind nicht kindeswohlrelevante Gründe der Mütter ausschlaggebend, sondern andere Gründe seitens der Mütter aber auch der Väter, die z.T. schlecht über die Rechtslage informiert sind oder sich aus anderen Gründen nicht aktiv um die gemeinsame Sorge bemühen. Dabei wird  nach der Art der Partnerschaft differenziert: Eltern, die sich getrennt haben oder als sogenannte LATs (Living Apart Together) als Paar in getrennten Wohnungen leben, erklären die gemeinsame Sorge seltener. Eltern, die unverheiratet zusammen leben, erklären häufiger die gemeinsame elterliche Sorge, allerdings gibt es auch hier eine große Gruppe an Nichterklärern. Die Forscherinnen empfehlen deshalb die elterliche Sorge so zu reformieren, dass Väter, die mit der Mutter ihres Kindes zusammenleben, einen leichteren Zugang zur gemeinsamen Sorge erhalten als die Väter, die getrennt leben.

Neben der unausgewogenen geschlechtlichen Zusammensetzung der Forscherinnengruppe finden sich bereits in dem Projektantrag einige Hinweise darauf, dass eine ausgewogene Befragung sowohl von Müttern als auch von Vätern kein vorrangiges Ziel war. So war z.B. in einer Teiluntersuchung von getrennt lebenden Eltern  beabsichtigt, nur die Mütter zu befragen, nicht aber dazugehörigen Väter. Diese Unausgewogenheiten ließen sich z.T. durch Intervention des Väteraufbruch für Kinder im Forschungsbeirat ausgleichen oder wurden von den Forscherinnen selbst korrigiert. Trotz  dieser durchaus positiven Entwicklung zeichnet sich der Endbericht durch ein sehr inhomogenes Bemühen um wissenschaftliche Objektivität aus:

Das DIJUF hatte die Aufgabe übernommen, die Rechtsentwicklung bei der elterlichen Sorge nachzuzeichnen und eine Übersicht über die unterschiedlichen Regelungskonzepte auf internationaler Ebene zusammenzutragen. Dabei wurden Beispiele aus ausgewählten Ländern ausführlicher erläutert und beschränkten sich antragsgemäß auf den rechtlichen Rahmen. Ohne dem DIJUF einen Vorwurf machen zu wollen muss jedoch festgestellt werden, dass weitere Informationen über die praktischen Auswirkungen der verschiedenen Konzepte sinnvoll gewesen wären: Kommt es z.B. in Ländern, in denen unverheiratete Väter die gemeinsame Sorge gleich mit der Vaterschaftsanerkennung erhalten, zu mehr Gerichtsverfahren um die Alleinsorge? Wird in Ländern, in denen diese Väter die gemeinsame Sorge nur auf Antrag erhalten, häufiger auf die gemeinsame Sorge geklagt? Gibt es Konfliktlösungsangebote, die besser funktionieren als in Deutschland? Diese Informationen wären eine wichtige Basis für die Ausgestaltung der Sorgereform in Deutschland gewesen. Sie fehlen jedoch in diesem Bericht und sollten unbedingt noch  erhoben werden.

Die LMU hatte die Aufgabe einer quantitativen Erhebung übernommen und mit großem Aufwand versucht, möglichst repräsentative Ergebnisse zu erzielen. Die Bemühungen sind in dem Forschungsbericht ausführlich dokumentiert und vermitteln den Eindruck, dass es mit den verfügbaren Ressourcen kaum besser zu machen war. Dennoch deutet sich ein Bias zu Gunsten von Befragten mit höherem Bildungsniveau an. Die Quote der Sorgeerklärungen aus den Untersuchungen von 62% übersteigt die Quote der amtlichen Statistik von rund 51% im Geburtsjahr 2008. Da die letztere Quote auf einer Gesamterhebung aller Sorgeerklärungen beruht, ist davon auszugehen, dass die Stichprobe der Untersuchung mit einem  Bias zu Gunsten von Eltern mit gemeinsamer Sorgeerklärung behaftet ist.

Das DJI hatte mit qualitativen Interviews Informationen von Jugendamtsmitarbeitern und Eltern erhoben. Die Untersuchungsergebnisse bei den Jugendämtern, insbesondere in ihrer Differenzierung zwischen Mitarbeitern des ASD und Erziehungsberatungsstellen, erscheinen plausibel, decken sich jedoch nicht durchgängig mit der Erfahrungen des Väteraufbruch für Kinder e.V. Bei der Elternbefragung gibt es hingegen einige große Schnitzer hinsichtlich der Objektivität: So wurden beispielsweise Interviewpartner u.a. bei Beratungsstellen für Alleinerziehende gesucht, nicht aber bei Beratungseinrichtungen für getrennt von ihren Kindern lebende Väter. Trotz Nachfrage des Väteraufbruch für Kinder ist auch nach dem endgültigen Abschlussbericht nicht sicher auszuschließen, dass der Verein Alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) bei der Suche nach Interviewpartnerinnen kontaktiert wurde.

Festzuhalten ist, dass an dem Abschlussbericht eine ehemalige Referentin des VAMV mitgeschrieben hat, die aus ihrer Funktion  als Beiratsmitglied  in das von ihr zu begleitende  Forschungsprojekt wechselte. Das BMJ wurde über diese Personalie erst kurz vor Fertigstellung des Endberichts informiert, den Beiratsmitgliedern wurde  keine gesonderte Mitteilung darüber gemacht: Sie konnten diesen Umstand erst der Fassung des vorläufigen Endberichtes entnehmen. Mit den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis hat dies nichts zu tun.

Die empirische Studie, die von Fachwelt und Betroffenen seit vielen Jahren schon fast sehnsüchtig erwartet worden war und die den Steuerzahler viel Geld gekostet hat, ist durch diese methodischen Mängel und Regelverstöße nur bedingt vertrauenswürdig

Das Bundesverfassungsgericht war offenbar gut unterrichtet, als es mit seiner Entscheidung vom 21. Juli 2010 ledigen Vätern einen Zugang zur gemeinsamen elterlichen Sorge auch ohne mütterliche Zustimmung ebnete: Das höchste deutsche Gericht nahm auf diese Studie keinen Bezug. Statt dessen wurden die Befunde der erwähnten Kurzbefragung des BMJ aus dem Jahre 2006 zitiert. Diese erschienen dem Verfassungsgericht in neuer Besetzung als aussagekräftig genug, um das eigene Urteil von 2003 zu revidieren.

Rainer Sonnenberger
Bundesvorstand